Was bedeutet Zeit beim Angeln…

Das moderne berufliche Leben ist davon bestimmt Strukturen zu schaffen, Pläne  aufzustellen und Lösungen für die Situationen zu entwickeln, die vom Normalzustand abweichen. Aufgaben die dazu führen, ständig über etwas nachzudenken, Kreativität aufzubringen und Komplexität zu erfassen.

Alles das braucht Zeit. Zeit, die oft nicht ausreichend vorhanden ist. Dafür sorgen die Gespräche im Großraumbüro über die Sendung gestern Abend, oder der neueste Promiskandal genauso, wie die „dringende“ Bearbeitung von Kundenwünschen. Schon ist der selbst gestellt Tagesplan dahin. Unmöglich dann noch liegen gebliebenes aufzuarbeiten. Die Folge, Überstunden, schlechtes Gewissen oder im schlimmsten Fall wirtschaftliche Nachteile.

Zeit wird zum hohen Gut. Wir denken, wenn wir viele Dinge gleichzeitig oder nebeneinander erledigen, können wir diesen Teufelskreis durchbrechen. Multi Tasking wird zum Gebot der Stunde. Ein Irrglaube, schon weil es physisch unmöglich ist Dinge zeitgleich zu erledigen. Wenn wir uns genau beobachten würden, leider haben wir dazu ja keine Zeit mehr, dann würden wir bemerken, dass wir auch im „Multitasking-Modus“ höchstens mehr Dinge nacheinander tun. Die Folge, wir bewerten nicht mehr ausreichend, weil wir schon mit dem nächsten Thema beschäftigt sind. In diesem Sinne „schlittern“ wir also immer öfter nur auf der Oberfläche, ohne eine echte und nachhaltige Tiefe zu erreichen. Veränderungen oder gar Nachbesserungen findet nur statt, wenn wirklicher Verlust in welcher Form auch immer stattfindet.

Der erste Herzinfarkt, der Verlust eines Angehörigen, die verpasste Chance im Leben, das sind für viele  die „Meilensteine“, die es benötigt, um inne zu halten. Sicher extreme Erfahrungen, aber oft werden eben die kleinen und stillen Hinweise ignoriert, uns schon darauf hinweisen wollen, dass es Zeit wäre kürzer zu treten.

Der Hinweis des Partners, mal wieder etwas gemeinsam zu unternehme, der Wunsch des Kindes endlich auch mal mit dabei zu sein, wenn der Chor das nächste Mal auftritt, oder die Anfrage eines guten Freundes mit ihm wieder um die Häuser zu ziehen.

Wir fühlen uns aber auch zu wohl in der Situation umfänglicher Auslastung. Das signalisiert uns, dass wir gebraucht werden, eine tragende Säule des Systems darstellen. Ohne uns läuft eben nichts. Ein Phänomen das vor allem bei Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens oft erschreckende Formen annimmt, wenn diese Selbsteinschätzung nicht mehr zutrifft ist der psychische oder physische Verfall. Drogenabhängige Promis gebärden sich in der Öffentlichkeit auf skurillste Art und Weise und versuchen somit ihren Status aufrecht zu erhalten. Politiker die nach ihrer Amtsabsetzung nicht „loslassen“ können und sich weiterhin in alle Diskussionen einmischen und dabei schon mal extreme Positionen einnehmen, die sie dann in umstrittenen Interviews oder Büchern wiedergeben.

Aber auch im Alltag kann man diese Entwicklung immer häufiger beobachten. Der Verlust des Arbeitsplatzes, selbst verschuldet oder nicht, kann mit dem Verlust sozialer Bindungen verbunden sein. Man steht plötzlich alleine da. Darf nicht mehr mitmachen am täglichen Einerlei. Wenn dann noch die Phantasie und der Antrieb fehlen sich dieser neuen Situation zu stellen, kann das schon existenziell bedrohliche Ausmaße annehmen. Es kann einem ja auch nicht geholfen werden. Die anderen stecken ja im Multi Tasking und haben zu tun nicht selbst auf dieser Schlitterpartie an der Oberfläche auszurutschen. Da fehlt einfach die Zeit, um sich um andere zu kümmern. Die viele Zeit wird zum persönlichen Makel, einem Schicksal dem sich viele ergeben und sich wieder den Zustand der Zeitlosigkeit zurück zu wünschen, statt mit der neu gewonnen Zeit auch neue Chancen zu nutzen. Im Gegenteil, erhalten sie durch „glückliche“ Umstände wieder „Eintritt“ in das Hamsterrad, stöhnen sie nach kurzer Zeit schon wieder über die wenige Zeit die sie nun wieder zur Verfügung haben.

Wir empfinden den Zeitmangel immer mehr als Luxus, als Status, je weniger davon, um so erstrebenswerter. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass die wirklich einflussreichen Menschen denen ich begegnet bin eher damit beschäftigt sind, sich selbst immer vom Zeitdruck frei zu machen. Deren Schreibtische sind oft aufgeräumt. Aufgaben werden auf einen Stab an Mitarbeitern verteilt, nur noch der Rücklauf von Ergebnissen wird gesteuert. Der Berater-Sprech „Die Präsentation muss Kind- und Vorstandsgerecht gestaltet werden“ ist wohl ein typischer Beweis dafür. Mit der Konzentration auf das Wesentliche erhält man wieder diesen Blick auf das Große-und-Ganze, die Tiefe eben. Wirkliche Macht braucht die Zeit über sich selbst. Multitasking ist oft nur die Hoffnung den wirklichen Einfluss zu erreichen, die oft als Letztes stirbt.

Das Angeln bietet mir diese Konzentration auf das Wesentliche. Zum einen habe ich Zeit über mögliche Themen für meinen Blog nachzudenken. Zum anderen erhalte ich sofort eine Rückmeldung bei dem was ich tue, ob ich damit auf dem richtigen Weg bin oder nicht.

Ich erinnere mich an Reisen, auf denen ich stundenlang versucht habe meine Ausrüstung zu optimieren oder Köder im Minutentakt gewechselt habe. Natürlich kann man so nicht davon ausgehen wirklich einen Fisch zu fangen. „Wenn das Beißfenster zu ist, war´s dass…“, das ist so ein typischer Spruch unter Anglern, der im übertragenen Sinn eine ähnliche Wirkung erzeugt, man hätte keine Zeit für lange Experimente. Dabei ist das „Beißfenster“ genauso ein Mythos wie der angeblich „dringende Kundenwunsch“. Die Zitat-gewordene Brennstoffzelle für diesen Multitasking Motor unseres Lebens.

 

 

Ein Gewässer zu „lesen“ oder dem Köder seines Vertrauens die Möglichkeit zur Wirkung zu geben, braucht Zeit, erzeugt Tiefe in den Erfahrungen. Den Fisch vor Augen oder das „Battle am River“ sind kein Beitrag, die einen Angel technisch weiterbringen. Ich behaupte, dass viele Angel Profis Tage damit verbringen bestimmte Erkenntnisse zu sammeln, die sie dann in ihren Erfolgsgeschichten abbilden oder darstellen. Die ausgedehnten Probephasen anzuschauen würde uns ja die Zeit rauben. Dann lieber wieder kurz und kompakt das Ergebnis viele Angeltage so darstellen, als wären Erfolg an einem Tag, besser, in wenigen Stunden möglich.

Angeln bedeutet sich die Zeit zu nehmen, die es braucht, um sich von den Verantwortungen des Alltags zu befreien, sich zu „entrollen“ und nur noch Angler zu sein, eine Idee zu Ende gedacht zu haben, ein Gespräch mit einem guten Freund geführt zu haben, ein Lagerfeuer runter brennen zu sehen, das Foto vom Sonnenuntergang gemacht zu haben, den Kranichen beim Flug hinterher zu schauen und von den fernen Ländern zu träumen, über die sie hinweg fliegen, dem Bieber auf seiner Jagd zu beobachten, die Lungen voll frischer Luft zu füllen, die Wärme der Sonne auf der Haut zu spüren, oder vielleicht auch endlich einen Fisch zu fangen….

 

 

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